Gestern am ersten warmen Tag des Jahres machte ich mich auf einen Pilgerweg. Auf dem Jakobsweg. Nicht in Spanien nach Santiago de Compostela, sondern in der Uckermark nach Gartz/Oder.
Auch hier gibt es nämlich einen Pilgerweg, der der alten Reichsstraße Via Imperii von Stettin nach Rom folgt. Die Straße war im Mittelalter auch Teil des weitverzweigen Netzes der Jakobswege.
In glühender Nachmittagshitze begann ich – vorher entlang der Oder von Gartz aus nach Mescherin gelangt – den Weg, der von Stettin aus parallel zur Oder verläuft. In Mescherin lohnen sich Abstecher hinauf auf die Höhen, von denen man einen herrlichen Blick auf das breite Odertal mit dem gegenüber liegenden Gryfino hat. Am Ortseingang aus Richtung Gartz steht auf einem Privatgelände auf Initiative des Eigentümers ein schlichtes Denkmal, das an die Kämpfe um den Brückenkopf Mescherin und die hier Gefallenen erinnert. Allein am 20.04.1945 (Führergeburtstag!) wurden hier 60.000 Artilleriegranaten abgefeuert.
Während des Wanders hatte ich die Muße, auszurechnen dass das 2.500 Granaten pro Stunde und fast 42 Granaten pro Minute bedeutete. Es muss die Hölle auf Erden gewesen sein.
Mit 3000 Mann haben die sowjetischen Truppen in drei Tagen und Nächten zwei Holzbrücken gebaut, nachdem die richtige Brücke gesprengt war.
1711 Soldaten der deutschen Wehrmacht und 812 Soldaten der Roten Armee ließen ihr Leben in Mescherin ließen. Zu den Gefallenen gehören auch 260 Schülersoldaten aus Flandern, die in SS-Uniform steckten, 16 und 17 Jährige waren das.
Furchtbar, was ich Menschen antun können.
Die Dorfmitte wird überragt von einem schlichten Kirchlein, das im Kern ein Feldsteinbau aus dem 13. Jahrhundert ist. Nachdem die Kirche wegen Baufälligkeit gesperrt war, wurde sie in den 1990er Jahren umfassend renoviert.
Nicht weit entfernt geht es nun die Felder hoch entlang eines einsamen Wanderweges. Gut ausgeschildert ist der Weg mit einem blauen Kreuz, die Jakobsmuschel zur Orientierung macht sich auf dem gesamten Weg sehr rar. Oben angekommen geht der Blick weit ins Land und man sieht genau am Wegesrand, dass dies hier eine steinreiche Gegend ist…
Nach Überquerung der B2 geht es einen sehr schönen Weg hinunter nach Geesow. Hinter dem Ort kommt der schönste Teil der Strecke. Rechts Wiesen entlang eines Baches, links das Naturschutzgebiet Trockenrasen Geesow mit dem Geesower Hügel. Hier kam in der knalligen Sonne echtes Jakobsweg-Feeling bei mir auf. Der Blick bleibt an kahlen Hängen hängen (heißen sie deshalb so?), streift später über endlose braune Felder, an denen die Augen erst am Horizont Halt an ein paar Büschen finden.
Und selbst ein Stier in spanischer Pose begegnete mir. Das wuschelige Fell deutete allerdings auf eine Herkunft von einer anderen Ecke des damaligen Römischen Reiches.
Am Ende wartete nicht der erhebende Marsch auf die Kathedrale von Santiago de Compostela auf mich, sondern eine langgestreckte Kirchallee ging es auf Gartz mit seinem unverbauten Panorama aus Stadttoren und teilzerstörter Kirche zu.
Karg und unspektakulär wie in Spanien die Landschaft, die einzigen Menschen, die ich auf dem Weg traf, war ein Berliner, der sein Auto vor einem halbsanierten Haus auspackte (Osterurlaub auf der Datsche!), zwei Treckerfahrer einen Kilometer entfernt auf einem Hügel bei ihrem Trecker und drei Bauarbeiter im Schatten am Ortseingang von Gartz. Insgesamt gut geeignet, sich innerlich auf Karfreitag und Ostern vorzubereiten.
Ein Kreuz steht übrigens auch in einem Vorgarten in Mescherin.
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