· 

Herbst

In der letzten Zeit begegnete mir mehrmals das Gedicht Herbsttag.

 

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los.

 

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

 

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

 

Rainer Marie Rilke schrieb das Gedicht 1902, nachdem er seine Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff, in Berlin zurückgelassen hatte und nach Paris gezogen war. Der melancholische Tonfall deutet mir eine persönliche Krise an. Interessant ist die am Anfang durchscheinende Form eines Gebetes.

 

Das Gedicht scheint persönlich zu sein, öffnet aber den Blick auf allgemeine Wahrheiten.

 

In der ersten Strophe wird die Veränderung der Zeit thematisiert, der Herbst ist anders als der Sommer. Und dennoch kann der Herbst – so die zweite Strophe – die Vollendung des Sommers sein. Der Herbst ist die Zeit der Frucht, der Ernte dessen, was im Sommer gereift ist.

 

Die dritte Strophe wendet den Blick dem Menschen zu, der es verpasst hat, zu reifen und Frucht zu bringen: Heimatlosigkeit, Einsamkeit und Unruhe erwarten ihn.

 

Die Zeit vergeht. Der Mensch vergeht. Das sollten wir als Menschen nie vergessen, um zu einer wirklich erfüllten Lebensweise zu kommen. Das betont auch die Bibel in einem Gebet:

 

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Psalm 90,12)

 

Ich kenne solche Krisenzeiten wie Rilke. Ich habe es erlebt, wie Jesus mich da wieder herausgeholt hat. Die Erfahrung, die daraus in mir gewachsen ist, hat bereits David vor Jahrtausenden gemacht. In Psalm 31 schreibt er:

 

Meine Zeit steht in Deinen Händen. (Psalm 31, 16)

 

Dieser Perspektivwechsel ist gut und hilft über schwierige Umstände hinweg. Sich wie Rilke erinnern an die Früchte, die bei einer guten Lebensweise entstehen können, sich wie David daran zu erinnern, dass ich ebenso wie diese Welt vergänglich bin und nur die Ewigkeit bei Gott daher eine langfristige Perspektive sein kann, beruhigt.

 

Ruhe bei Gott ist das Ziel der Zeit.

 

 

Diese Ruhe wünsche ich Dir.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0