Ein furchtbares Gedränge und Geschiebe. Heute in Corona-Zeiten kaum noch vorstellbar. Es geht kaum vor und zurück. Eingekeilt bin ich und werde von der Masse weitergetrieben. Handykameras werden gezuckt. Was ist hier los?
Über den Köpfen und Kameras sehe ich es: Da vorne wird ein Mensch auf Holzbalken genagelt. Blutverschmiert. Eine Dornenkrone auf dem Kopf. Ein Bild des Jammers. Die Menge brüllt und feixt.
Die Balken werden mit Seilen aufgerichtet. Der festgenagelte Mensch sackt in sich zusammen. Richtet sich mit letzter Kraft wieder auf, weil er sonst und ersticken würde. Die Kreuzigung ist die niederträchtigste Hinrichtungsmethode, der Lebenskampf kann sich über Tage hinziehen.
Warum laufen hier so viele Menschen zusammen? Während des Passahfestes in Jerusalem ist doch genug los. Auch im Tempel, auf den Basaren der Altstadt, in der ganzen Gegend ist doch an jeder Ecke etwas los. Woher kommt diese Faszination, einem leidenden, sterbenden Menschen zuzusehen? Diese Faszination, die auch nach einem Unfall auf der Autobahn zu sehen ist? Hat das auch mit dem Gedanken zu tun:
Puh, ein Glück, das das nicht mich trifft?
Plötzlich richtet sich der Mensch am Kreuz wieder auf. Und schaut mich an. Direkt in die Augen. Und ich muss ihm direkt in seine Augen blicken. Diese Augen, die im Gegensatz zu seinem geschundenen Körper eine Stärke ausstrahlen. Die so viel Liebe ausstrahlen. Und ich realisiere: Dieser Mensch hängt hier wegen mir. Er hängt hier, weil er so viel Liebe in sich hat, dass er dieses Leiden auf sich nimmt, um mich zu erlösen. Um mir das echte Leben und schließlich das ewige Leben zu ermöglichen. Unfassbar, diese Liebe. Unfassbar, diese Gnade, dass er genau mich ansieht.
Puh, ein Glück, das mich das trifft!
Jesus, dort am Kreuz bist Du nicht hängen geblieben. Du sitzt zur Rechten Deines Vaters. Und ich hatte die große Gnade, von Dir am Kreuz angeblickt zu werden.
Deshalb ist mir das Kreuz so wichtig, obwohl es nicht das Wichtigste – und vor allem nicht das Ende - war.
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